Der für Bankrecht/Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des BGH hatte im Januar 2021 entschieden, dass die Haftung von Prospektverantwortlichen aufgrund der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG) i.V.m. §§ 44 ff. Börsengesetz (BörsG) in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung die Haftung nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung verdrängt (Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18).
Mit Beschluss vom vom 25.10.2022 - II ZR 22/22 ist der für Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH dieser Rechtsprechung entgegen getreten. In einem sogenannten obiter dictum (über die Urteilsbegründung hinausgehende, rechtliche Ausführung) hat der II. Zivilsenat ausgeführt, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung die sogenannte Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht ausschließt. Hiermit widerspricht der II. Zivilsenat bewusst der vom XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs erfolgten Rechtsprechung.
Bei der Prospekthaftung im weiteren Sinne handelt es sich um eine gesellschaftsrechtliche Haftung der Gründungsgesellschafter bzw. Altgesellschafter wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektes als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Diese Prospekthaftung im weiteren Sinne ist insbesondere wegen der für Anleger günstigeren Verjährungsregelung von Bedeutung. Gemäß §§ 195, 199 BGB verjähren Ansprüche hierunter in drei Jahren ab Kenntnis des Prospektfehlers, maximal in zehn Jahre ab Zeichnung der Beteiligung. Die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG unterliegt hingegen der deutlich kürzeren Verjährung gemäß § 46 BörsG a.F.: ein Jahr ab Kenntnis vom Prospektfehler, spätestens jedoch drei Jahre seit Veröffentlichung des Prospektes.
Da der II. Zivilsenat seine abweichende Rechtsauffassung jedoch lediglich in einem obiter dictum und nicht in der die Entscheidung tragenden Begründung darlegte, sind diese Ausführungen für den XI. Zivilsenat nicht bindend. Der XI. Zivilsenat kann nun die vom II. und XI. Zivilsenat unterschiedlich beantwortete Frage des Anspruchsverhältnisses der Prospekthaftung im weiteren Sinne zur spezialgesetzlichen Prospekthaftung gemäß § 132 Abs. 4 GVG dem Großen Senat beim BGH zur Entscheidung vorlegen, ist hierzu jedoch nicht gemäß § 132 Abs. 2 GVG verpflichtet. Der XI. Zivilsenat ist also zunächst nicht daran gehindert, seine bisherige Rechtsprechung fortzusetzen.